Als der Frisör auch Barbier war

Der Niederbrechener Friseur Heinrich Stillger im Jahr 1960 beim Haareschneiden bei einem sehr jungen Kunden.

Nassauische Neue Presse vom 15.09.2017 von Johannes Koenig

Haare. Sie wachsen unermüdlich, manchmal an Stellen, die uns gar nicht so recht sind. Pure Notwendigkeit oder modisches Schischi? Die besonderen Eigenheiten des Frisörberufs auf dem Land kamen beim jüngsten Treffen des Niederbrechener Gesprächskreises zum Vorschein.

Niederbrechen. Die Zeiten, als der Haarschnitt noch 50 Pfennig kostete und Zähneziehen gleich mit zum Service gehörte, sind lange vorbei. Bei den Treffen des Archiv-Gesprächskreises in Niederbrechen werden sie wieder lebendig. „Die Gesprächskreise, werden in den drei Ortsteilen seit vielen Jahren gepflegt“, erzählt Gregor Beinrucker vom Arbeitskreis Historisches Brechen. Oft werden Bilder gezeigt, um die Erinnerungen der Anwesenden an vergangene Zeiten zu wecken. Ob dabei Anekdoten, Gerüchte oder historische Fakten zutage kommen, lässt sich vorher oft nicht genau sagen.

Die Treffen finden immer zu bestimmten Themen statt. In diesem Jahr ging es um „Gewerbe, Läden und Handwerk in Niederbrechen“. Etwas systematisch besprechen die Teilnehmer alle Metzgereien oder Bäckereien anhand einer alten Liste, erklärt Gregor Beinrucker die Vorgehensweise.

Flechten statt schneiden

Nun waren die Frisöre dran: Gleich zu Beginn der Gesprächsrunde im historischen Rathaus wurde klar, dass der Dorfbarbier früherer Zeiten relativ wenig mit seinen heutigen Berufskollegen gemein hatte. Das fing schon mit den „Firmenschildern“ an, die damals noch vor den Häusern hingen. Zu sehen war dort nicht etwa ein Kamm oder eine Schere, sondern ein silberner Teller. Was daher kam, dass die Bartrasur genauso zur Arbeit des Frisörs dazugehörte wie das Haareschneiden. Außerdem gingen bis in die fünfziger Jahre hinein die wenigsten Frauen zum Frisör. Stattdessen flochten sie aus ihren Haaren einen Zopf oder einen Haarknoten.

Brechener Originale

Schnell kam das Gespräch auf eine Reihe Brechener Originale. Einer der wohl bekanntesten Frisöre des Ortes, Jean Trabusch, hatte keiner der Zeitzeugen selbst kennengelernt. Denn dieser war im Jahr 1792 in Napoleons Armee eingezogen worden. Nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst 1824 kam er nach Niederbrechen zurück, um dort als Bader zu arbeiten. Eine Tradition, die seine Nachkommen fortsetzten. Einer davon, Georg Trabusch, im Dorf auch „Trabusche Schorsch“ genannt, war den Teilnehmern noch bekannt. „Bei den Namen muss man immer ein bisschen aufpassen, denn oft gab es verschiedene Namen für ein und dieselbe Person“, betont Gregor Beinrucker, der die Gespräche souverän auf immer neue Details und Personen lenkte.

So kam heraus, das August Jung („Jungs August“), der seit 1949 ein professionelles Frisörzimmer im eigenen Haus eingerichtet hatte, mit der Zeit immer seltsamer wurde. Es wird berichtet, dass er Kunden zum Rasieren einseifte oder mit dem Haareschneiden anfing, nur um kurzfristig für ein Glas Bier alles stehen und liegen zu lassen. Nach der Trinkpause setzte er aber seine Arbeit fort.

Unter einer ganzen Reihe von Namen war wiederum der Frisör Heinrich Stillger im Dorf bekannt. So nannte er sich wohl selbst „de klaa Mann“, wurde in Gesprächen aber auch „Mille Jupps Heine“ oder auch „Milljupps Heini“ genannt. Er legte 1948 seine Meisterprüfung ab und eröffnete im Mai 1949 einen Damen- und Herrensalon. Für die Wartezeit lagen dort bereits Zeitschriften und Zeitungen aus. Ein Service, den damals wohl längst noch nicht alle boten.

Den ersten modernen Frisörsalon Niederbrechens eröffnete 1949 Margot Dillmann, geborene Geis. Dank ihres Mädchennamens wurde sie auch „Geise Margot“ genannt. Ihren „Salon Dillmann“ gibt es auch heute noch an der Villmarer Straße. In Erinnerung geblieben ist unter anderem, dass die Frauen der dörflichen „High Society“ hinter einem Vorhang bedient wurden. So waren sie während des Haareschneidens vor neugierigen Blicken geschützt.

Vor der „Professionalisierung“ des Frisörbetriebs schnitten viele der Brechener Barbiere Haare nur im Zweitberuf. So arbeiteten wohl auffallend viele von ihnen bei der Post. Auch war das Haareschneiden nichts für das ganze Erwerbsleben. So meldete Heinrich Stillger zum Beispiel sein Gewerbe 1970 endgültig ab. Er hatte in der Zwischenzeit Arbeit bei den Farbwerken in Höchst gefunden.