Wiedersehen zum Jahrestag der deutsch-französischen Begegnungen

Vor dem „Chez Casimir“ in Lens (v. l.): Agnès Boutry, Christine Kopaczyk, Francine Boutry, Franz Arthen, Willi Schupp, Klaus Friedrich, Karl Schöberl und Hubert Edel.

Die erste Besuchergruppe aus Niederbrechen wurde im Sommer 1967 von ihren französischen Gastgebern in Lens empfangen.

Vor 55 Jahren unterschrieben der französische Staatspräsident Charles de Gaulle und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer in Paris den Elysée-Vertrag. Damit besiegelten sie die deutsch-französische Zusammenarbeit und Freundschaft. Fast genauso alt ist die Freundschaft, die einige Niederbrechener mit Familien aus der nordfranzösischen Stadt Lens pflegen.

Nassausiche Neue Presse vom 17.05.2018 von Ursula Königstein

Niederbrechen. Das enge Verhältnis zwischen Lens und Niederbrechen entwickelte sich seit der Zeit der deutsch-französischen Begegnungen zwischen Jugendlichen aus beiden Orten und deren Umgebung. Vor 51 Jahren fuhr zum ersten Mal eine Gruppe aus dem Goldenen Grund in die nordfranzösische Stadt. Aus Anlass des Jubiläums hatten im vergangenen Jahr vier Frauen aus Niederbrechen die Freunde in Lens besucht. Jetzt waren die Franzosen für einige Tage im Goldenen Grund zu Gast.

„Der deutschen und französischen Jugend sollen alle Möglichkeiten geboten werden, um die Bande, die zwischen ihnen bestehen, enger zu gestalten und ihr Verständnis füreinander zu vertiefen. Insbesondere wird der Gruppenaustausch weiter ausgebaut“, heißt es im Elysée-Vertrag. Zu diesem Zweck wurde das deutsch-französische Jugendwerk gegründet, das aus einem Gemeinschaftsfonds beider Länder Begegnung und Austausch von Schülern, Studenten, jungen Handwerkern und Arbeitern beider Ländern fördert. Diese Förderung ermöglichte über Jahre die Begegnungen zwischen jungen Leuten aus Niederbrechen und Lens. Deutsche wie Franzosen konnten so das jeweils andere Land, die Menschen und die anderen Lebensweisen kennenlernen.

Reichlich Gesprächsstoff

Die Gäste aus Frankreich und einige der früheren deutschen Teilnehmer des Jugendaustauschs erwartete jetzt im alten Rathaus in Niederbrechen eine Ausstellung mit Bildern und Dokumenten aus 50 Jahren deutsch-französischer Begegnungen. Material, das natürlich für reichlich Gesprächsstoff sorgte: Erinnerst du dich noch an die Holzhütten am Mont-Saint-Michel, an die stürmische Überfahrt nach England mit dem Hovercraft, an die unzähligen Grabkreuze auf den Soldatenfriedhöfen, an die stürmischen Wellen am Cap Gris-Nez, an die Sonntage in den französischen Familien? Und so weiter und so weiter . . .

Nicht alle, die damals dabei waren, erkannten sich auf den alten Fotos wieder. Immerhin liegen 50 Jahre zwischen ihnen und der Gegenwart, und manche Erinnerung bedurfte der Auffrischung. Lydia Arthen hatte die Ausstellung zusammengestellt. Sie war es auch, die über all die Jahrzehnte den Kontakt zur Familie Duribreux pflegte und der die beiden jüngsten Treffen zu verdanken sind. Gregor Beinrucker vom Gemeindearchiv half bei der Suche und der Auswahl der Erinnerungsstücke. Mit dabei war auch Annelie Gerlach aus Haintchen. Dort hatte diese besondere deutsch-französische Geschichte einst ihren Anfang genommen. Auf Initiative des damaligen Haintchener Pfarrers Joachim Andres waren im Juli 1965 40 Jugendliche und drei Geistliche aus Lens im Zeltlager im Taunus. 1966 fuhr Pfarrer Andres mit 34 Jungen aus dem Dekanat, darunter vier aus Haintchen, nach Frankreich.

Gefühl der Verbundenheit

Nicht verblasst ist im Laufe der Jahrzehnte das Gefühl der Verbundenheit, das nicht zuletzt aus den gemeinsamen Erinnerungen resultiert und bis in die Gegenwart reicht. Dies wurde erneut deutlich beim anschließenden Treffen im Hause von Brigitte Sutherland. Ihre Eltern Hubert und Gustel Steul hatten neben anderen Niederbrechener Jugendgruppen nach Frankreich begleitet und dort versorgt.

„À notre amitié – auf unsere Freundschaft“ – hieß es am Ende, und alle waren sich einig: Diese Freundschaft wird auch die kommenden Jahre Bestand haben.

Erste Begegnung vor einem halben Jahrhundert: Wie Françoise, Lydia und Franz vor 50 Jahren zueinander fanden

Françoise Brunet-Duribreux erinnert sich noch gut an ihren ersten Aufenthalt in Niederbrechen vor einem halben Jahrhundert. Vor allem an die Schule, in der die französischen Mädchen damals untergebracht waren. Gleichzeitig war eine deutsche Gruppe zu Gast in Lens, sie wohnte in der Privatschule St. Ide, unweit des Elternhauses von Françoise Brunet-Duribreux.

Die Pfarrei von Lens, Mitorganisatorin des Jugendaustauschs, hatte zuvor Bürger gesucht, die Deutsch sprachen und bereit waren, sich um die jungen Gäste zu kümmern. Françoises Eltern, Jules und Maria-Theresa Duribreux-Flament , gehörten zu den ersten, die sich meldeten. Maria-Theresa hatte während des Kriegs in einigen Kursen Deutsch gelernt, Jules während seiner fünf Jahre in deutscher Kriegsgefangenschaft. Françoises kleiner Bruder Bernard, damals zwölf Jahre alt, durfte die Gruppe bei einigen Bustouren begleiten, und schnappte seine ersten deutschen Wörter beim Kartenspielen auf. Mit dabei waren auch Marcel und Marie-Thérèse Boutry, Cousins von Maria-Theresa Duribreux-Flament, mit ihren Töchtern Francine und Agnès sowie die Eheleute Kopaczyk und ihre Tochter Christine. Stanislas Kopaczyk, der aus Polen stammte, sprach fließend Deutsch.

Am letzten Tag ihres ersten Aufenthalts in Niederbrechen machte Françoise Brunet-Duribreux die Bekanntschaft von Lydia und Franz Arthen. Das Ehepaar war am Tag zuvor mit der deutschen Gruppe aus Lens zurückgekehrt. Die Arthens erzählten Françoise von den Einladungen in deren Elternhaus in der Rue Emile Zola und der dort erfahrenen Gastfreundschaft, von den gemeinsamen Unternehmungen, von der typisch französischen Mahlzeit, die ihre Mutter für die deutschen Gäste zubereitet hatte, und von dem Apéritif, mit dem die Duribreux‘ die gesamte Gruppe vor der Heimreise verabschiedet hatten.

Jenes Jahr, in dem auch die Familien Boutry, Kopaczyk und Duribreux in Niederbrechen empfangen wurden, war der Ausgangspunkt der Freundschaft mit der Familie Arthen. Sie überdauerte die Jahre des Jugendaustauschs. Seit damals gab es kein Jahr, in dem sich die Familien nicht gegenseitig besuchten, in Deutschland wie in Frankreich. Familiäre Ereignisse wie Geburten, Hochzeiten, Geburtstage, aber auch traurige Begebenheiten wie Begräbnisse teilen sie bis heute miteinander.

Mit Dankbarkeit denkt Françoise Brunet-Duribreux heute zurück an ihre Eltern, die es vor 50 Jahren, als eine solche Haltung durchaus noch nicht selbstverständlich war, verstanden, die Blockaden ihrer Zeit zu überwinden und ihre Tür und ihr Herz für Leben und Freundschaft zu öffnen, um eine Geschichte mit Deutschland, die gemeinsame Geschichte, zu schaffen. Diese Dankbarkeit, die auch die übrigen Familien einschließt, teilt sie mit den deutschen Freunden, die auf diese Weise früh erfuhren, was Versöhnung bedeutet. uk