Waldsterben 2.0 - Eine Zustandsbeschreibung von Revierförster Frank Koerver

Unmengen von Holz warten auf die Verladung nach China

Nach Käferbefall kahlgeschlagener Fichtenbestand

Die Borkenkäfer-Fraßgänge unter der Rinde unterbrechen den Stoffkreislauf der Fichten

Unter diesem zwar nüchternen, doch vielerorts leider zutreffendem Titel wird derzeit über den Gesundheitszustand des Waldes informiert und diskutiert.

Die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung sind aber für den Laien nicht immer leicht zu verstehen. Um den momentan kritischen Waldzustand zu verstehen, muss man mindestens bis Januar 2018 zurück schauen. Der Orkan Friederike fegte am 18. Januar über die Wälder Europas. Man spricht von einem Schadholzanfall von insgesamt etwa 50 Millionen Festmeter (fm = m³).

Im Gemeindewald Brechen richtete der Orkan ebenfalls erhebliche Verwüstungen in den älteren Fichtenbeständen an. Schadensschwerpunkt waren besonders die Waldbereiche um Langhecke. Aber auch der Oberbrecher Wald, der Werschberg und Panrod waren stark betroffen. Bis zum Sommer 2018 konnten 5000 fm Fichtenwindwurfholz im Gemeindewald aufgearbeitet und zu Spitzenpreisen verkauft werden.

Der Zeitpunkt des Orkans war äußerst ungünstig, denn auch bei gründlicher Aufarbeitung des Schadholzes blieb immer noch genügend bruttaugliches Holz für den Borkenkäfer im Walde. Verstärkend kommt die ungünstige Witterung der Jahre 2017 bis 2019 hinzu. Bereits der Winter 2017 wurde mit einem Niederschlagsdefizit abgeschlossen.

 

Explosiosartige Entwicklung der Borkenkäferpopulation

Seit April 2018 gibt es laut Wetteraufzeichnungen keinen Monat, in dem die Niederschläge des langjährigen Vergleichsmonats erreicht wurden. Dagegen wurden die mittleren Monatstemperaturen regelmäßig weit überschritten. Die Folge ist seit Jahresbeginn 2018 ein erheblicher Wassermangel in Wald und Feld. Die Folge der Kombination aus bruttauglichen Resthölzern und der für die Borkenkäferentwicklung extrem günstigen Witterungsbedingungen war eine explosionsartige Entwicklung der Borkenkäferpopulation.

Obwohl der Einschlag der vom Borkenkäfer befallenen Fichten unmittelbar begann, war das Missverhältnis zwischen dem Abbau der Borkenkäferpopulation durch Aufarbeitung einerseits und der rasanten Vermehrung andererseits nicht mehr zu stoppen. Diese Dynamik hält derzeit unvermittelt an. Auch wenn die Aktivität der Borkenkäfer derzeit jahreszeitbedingt gen Null geht, ist aufgrund der unzähligen im Boden überwinternden Käfer davon auszugehen, dass im kommenden Frühjahr der massive Borkenkäferbefall fortgesetzt wird.

Einsatz der Chemischen Keule ?

Vielerorts wird in solchen Situationen nach der Chemischen Keule gerufen. Im Gemeindewald Brechen haben sich bereits vor Jahren die Gemeindevertreter dafür ausgesprochen im Wald keine Gifte einzusetzen. Diese Entscheidung ist auch heute noch richtig. Tatsache ist, dass Gifte ausschließlich gegen holzschädliche Borkenkäfer am gelagerten Holz eingesetzt werden dürfen. Der rindenbrütende Borkenkäfer, der die Fichten derzeit zum Absterben bringt, darf somit nicht bekämpft werden. Hinzu kommt, dass derartige Mittel als Kontaktgifte alle Kleinlebewesen der Insektenwelt töten, sobald sie mit dem begifteten Holz in Kontakt geraten.

Vor allem im Hinblick auf das allseits bekannte Insektensterben wäre eine solche Maßnahme ohnehin verwerflich. Die früher durchgeführten Fallenfänge mit Sexuallockstoffen dienen hingegen ausschließlich der Populationsprognose und Kontrolle. Zum Abfangen großer Käfermengen sind sie nicht tauglich. Somit gibt es keine Optionen durch chemische und biologische Mittel. Einzig und allein die Entnahme der frisch befallenen Bäume ist die einzige Möglichkeit eine Borkenkäferpopulation zu schmälern. Die Betonung liegt aber eindeutig auf frisch befallenen Fichten, in denen die verschiedenen Stadien des Borkenkäfers (Ei, Larve, Puppe) noch vorhanden sind. Nur dann ist eine direkte Entnahme der Fichten wirkungsvoll.

 

Durch die oben bereits beschriebene Dynamik des Befalls war mit den Mitteln des Schadholzeinschlages der Befall nicht zu stoppen. Derzeit (November) befinden sich nur noch sehr wenige Borkenkäfer tatsächlich unter der Rinde der befallenen Bäume. Tatsächlich haben sie sich mittlerweile zur Überwinterung in die Bodenstreu (Nadelmasse) oder in Baumstümpfe im Boden zurückgezogen. Dort warten sie, bis im kommenden Frühjahr die Lufttemperaturen 16 Grad Celsius überschreiten, um dann mit ihrem erneuten Schwärmflug zu beginnen,  um neue, dann noch gesunde Fichten zu befallen.

Es sei an diesem Punkt aber betont, dass von den derzeit tot im Wald stehenden Fichten keine weitere Besiedlungsgefahr für gesunde Fichten ausgeht! Somit bleibt derzeit lediglich die Möglichkeit, die tot im Wald stehenden Fichten zu ernten und zu verkaufen. Da der Fichtenrundholzmarkt in Deutschland komplett zusammen gebrochen ist, kann Fichtenholz dieser Qualität (trocken, verfärbt) derzeit nur noch nach Asien exportiert werden. Hier sind nur noch wenige Export-Firmen in der Lage, das Holz kostendeckend mit extrem kleiner Gewinnspanne zu vermarkten.

Es kann also derzeit nur das Holz geerntet werden, das auch verkauft werden kann. Sollte der Exportmarkt ebenfalls zum Erliegen kommen, kann das dann übrige Totholz nicht mehr aufgearbeitet werden, denn früher oder später wird es durch Insektenfraß unbrauchbar werden. Am Ende muss man davon ausgehen, dass nahezu alle mittelalten und alten Fichtenbestände der Massenvermehrung des Borkenkäfers zum Opfer fallen werden.

Inwieweit die jüngeren Fichten bei entsprechendem Befallsdruck ebenfalls Opfer des Käfers werden, ist derzeit noch nicht absehbar. Wie mit den enormen Freiflächen im Gemeindewald Brechen künftig umzugehen ist, bedarf noch der Klärung. Das Forstamt Weilmünster wird aber zum baldmöglichsten Zeitpunkt ein Wiederbewaldungskonzept für die betroffenen Flächen zur Diskussion vorlegen. Während der Verlust der Fichtenbestände in vielfacher Sicht eine Last darstellt (ökologisch und ökonomisch), ist die Möglichkeit die Wiederbewaldung hin zu stabilen und naturnahen Wäldern auch eine Chance für den Waldbesitzer. In jedem Fall werden die Auswirkungen des Windwurfes und der nachfolgenden Borkenkäfermassenvermehrung noch Jahrzehnte im Wald sichtbar sein. Die Waldstrukturen sind nachhaltig verändert.