Den ganzen Tag Schlitten fahren

Josef Henecker erzählt von früher – Wie seinerzeit die Kinder gespielt haben

Fünf Lebensmittelgeschäfte, sieben Gastwirtschaften, drei Schneider, drei Metzger, mehrere Schuster, 45 landwirtschaftliche Betriebe – das alles in Oberbrechen. Daran erinnert sich Josef Henecker – unter anderem. Seine Eltern betrieben die Gastwirtschaft „Zum Heideberg“, da half er mit, bis sie 1964 schloss. Im heutigen Beitrag geht es um Löwenzahn, der auf der Autobahn gepflückt wurde, Fahrrad- und Schlittenfahrten.

Nassauische Neue Presse vom 07.01.2019 von Petra Hackert

Wer heute durch Oberbrechen, fährt, aber auch durch Lindenholzhausen, Niederbrechen, Niederselters, Oberselters, Erbach Bad Camberg . . . Der mag sich angesichts des Verkehrs nicht vorstellen, dass Kinder früher Löwenzahn auf der Straße gepflückt haben. Genaugenommen war es noch nicht einmal auf der B 8. Nein, auf der Autobahn!

Daran können sich Josef Henecker und Norbert Jung sehr gute erinnern. Sie brauchten den Löwenzahn für die Kaninchen – unter anderem. Und weil jeder Zipfel Land verpachtet war, wurde es schwer, welchen zu bekommen. „Da konntest Du nicht einfach Grünfutter holen“, berichtet Norbert Jung.

„Die Autobahn war in Limburg zu Ende, weil es die Brücke nicht mehr gab. Die war zu Kriegsende gesprengt worden“, berichtet Josef Henecker. Deshalb wuchs auf dem Mittelstreifen tatsächlich „der schönste Löwenzahn“, wie er sagt. Außerdem Hagebutten. „Das alles haben wir auf dem Mittelstreifen gesammelt.“ Norbert Jung erinnert sich außerdem gut an den Wiederaufbau: „Als die Autobahnbrücke wieder errichtet wurde, haben viele Italiener geholfen“, weiß er. Denn: Durch den Krieg waren Arbeitskräfte dringend nötig.

„Für uns Kinder war die Autobahn ein Paradies“, sagt er. Damals, als sie nicht befahren wurde. „Wir haben den halben Tag Fußball gespielt und dann schnell einen halben Sack voll Hasenfutter gesammelt.“ Weil so viel da war, so schnell. Und weil die Eltern dachten, es dauert länger, wurde gespielt.

Keinen Luxus gekannt

Josef Henecker wurde mit 16 Jahren eingezogen – da hatte die Jugend früh ein Ende. Er zeigt ein Bild mit Kindersoldaten in dicken Mänteln – einer davon ist er. Norbert Jung ist acht Jahre jünger. Der 82-Jährige hat die entbehrungsreiche Nachkriegszeit erlebt. Da wurde mit dem gespielt, was da war. Besonders beliebt waren die Schlittenfahrten die „Lange Straße“ hinunter. „Wenn das Milchauto durch war, da wussten wir: Jetzt können wir fahren“, erinnert er sich. Übrigens nicht nur kurz. „Den ganzen Tag“, sagt er mit einem Glänzen in den Augen. Bis spät in den Abend sind dann auch die Erwachsenen geschlittert: Vom Kapellchen hinunter bis vorne an die Schule. Drei Verletzte gab es einmal in der Kurve. „Sie sind bei Baldese gegen die Treppe gefahren“, weiß er noch.

Und was ist mit der Friedrichstraße? Das wäre doch auch ein schöne Rennstrecke? Heute vielleicht. „Aber damals nicht, die war ja noch nicht geteert. Da lag nur Schotter“, erzählen beide. Die „Lange Straße war stellenweise geteert, teilweise gepflastert.“ Sehr gut für jeden Schlitten. Im Winter die reinste Freude.

Oft ist das Einfache das Beste, aber die Entbehrungen werden auch deutlich. „Als wir zur Erstkommunion gegangen sind, da gab es noch nicht einmal ein Rahmbonbon“, erzählt Norbert Jung. „Wir hatten kein Fahrrad, keinen Fußball, den haben wir uns selbst gemacht. Wir haben im Wald Häuschen gebaut und Schleudern gemacht. Luxus haben wir nicht gekannt, aber wir haben auch nichts vermisst.“